Industrie verlagert Investitionen ins Ausland – Standort Deutschland verliert an Strahlkraft
Industrie verlagert Investitionen ins Ausland – Standort Deutschland verliert an Strahlkraft
Deutschlands Industrie zieht es zunehmend aus Kostengründen ins Ausland. Hohe Energie- und Arbeitskosten, geopolitische Unsicherheiten und eine schwache Konjunktur setzen Unternehmen unter Druck und schmälern die Attraktivität des Standorts Deutschland. Dies zeigt eine Sonderauswertung der aktuellen DIHK-Konjunkturumfrage zu den Auslandsinvestitionen. Von den rund 1.700 befragten auslandsaktiven Industrieunternehmen planen 40 Prozent Investitionen im Ausland – ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr (42 Prozent). Dabei geht es nicht mehr vorrangig um die Erschließung neuer Märkte, sondern vor allem um Kostensenkungen. „Deutschland droht den Anschluss zu verlieren. Wenn Unternehmen zunehmend ins Ausland abwandern, weil hohe Energiekosten, lähmende Bürokratie und eine steigende Steuerlast ihnen hierzulande die Luft abschnüren, ist das ein gefährliches Signal“, warnt DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Tatsächlich erreicht das Motiv Kostensenkung für die Investition im Ausland mit 35 Prozent den höchsten Wert seit der Finanzkrise 2008. „Wir stehen an einem Wendepunkt: Deutschland verliert als Investitionsstandort rapide an Boden“, so Treier. „Immer mehr Unternehmen sehen sich gezwungen, ihre Produktion und Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern – das ist ein massiver Warnschuss für unsere Wirtschaftspolitik!“
Besonders kleinere Industriebetriebe haben es derzeit schwer, sich international zu engagieren: Nur noch 30 Prozent der Unternehmen mit bis zu 200 Beschäftigten planen Investitionen im Ausland (Vorjahr: 31 Prozent). Vor der Corona-Pandemie lag dieser Anteil noch zwischen 35 und 39 Prozent. Bei großen Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten bleibt das Niveau hoch (80 Prozent nach 81 Prozent im Vorjahr).
Standort Deutschland unter Druck
Der Vergleich zwischen Inlands- und Auslandsinvestitionen verdeutlicht die aktuellen Herausforderungen am Standort Deutschland: Während mehr Unternehmen Investitionen im Ausland ausweiten, ist es um die Investitionsbereitschaft im Inland schlecht bestellt: Zwei von fünf Unternehmen in der Industrie wollen ihre Investitionen hierzulande zurückfahren. Der Abstand zwischen beiden Entwicklungen vergrößert sich weiter – ein klarer Beleg für Standortnachteile in Deutschland.
Wandel bei den Investitionsmotiven: Kostensenkung im Fokus
Traditionell dienten Auslandsinvestitionen lange Zeit vor allem der Markterschließung. Diese Motivation bleibt relevant, liegt aber mit 30 Prozent nur noch auf dem langjährigen Durchschnittsniveau. Besonders große Unternehmen (ab 1.000 Beschäftigte) investieren verstärkt zur Erschließung neuer Märkte (47 Prozent nach 43 Prozent im Vorjahr). Kleinere Betriebe setzen dagegen häufiger auf den Ausbau von Vertrieb und Kundendienst im Ausland (43 Prozent nach 46 Prozent).
Gleichzeitig erreicht das Kostenmotiv mit 35 Prozent einen der höchsten Werte seit 2008. Besonders energieintensive Unternehmen leiden unter hohen Energiepreisen: 76 Prozent dieser Unternehmen nennen die Energie- und Rohstoffpreise als zentrales Geschäftsrisiko. In der Folge planen sie verstärkt Investitionen an Standorten mit günstigeren Rahmenbedingungen.
Verschiebung der Zielregionen: Amerika im Aufwind
Die Zielregionen deutscher Auslandsinvestitionen verschieben sich. Die Eurozone bleibt mit 64 Prozent der Nennungen zwar die wichtigste Region für Investitionen, doch Nordamerika gewinnt weiter an Attraktivität. Der Anteil der Unternehmen, die dort investieren wollen, steigt von 45 auf 48 Prozent. Besonders im Maschinen- und Fahrzeugbau liegt der Anteil mit über 60 Prozent auf einem Rekordhoch. Hier spielen neben den Marktchancen auch niedrige Energiekosten und lokale Vorschriften eine Rolle. Während die Diversifizierung in den asiatisch-pazifischen Raum zuletzt zunahm, stößt dieser Trend nun an seine Grenzen. Der Rückgang der Investitionen in dieser Region zeigt, dass Unternehmen zunehmend vorsichtiger agieren. So setzt sich der schleichende Rückzug aus dem chinesischen Markt fort: In der Volksrepublik planen nur noch 31 Prozent der Betriebe Investitionen – nach 33 Prozent im Vorjahr. Noch deutlicher ist der Rückgang im übrigen asiatisch-pazifischen Raum ohne China: Hier sinkt der Anteil von 33 auf 21 Prozent. Umso wichtiger sind belastbare Freihandelsabkommen der EU mit Ländern wie Indien und Indonesien die den Zugang unserer Unternehmen zu diesen dynamischen Märkten erleichtern und langfristige Investitionssicherheit schaffen.
Handlungsbedarf für den Standort Deutschland
Die Ergebnisse der DIHK-Umfrage zeigen, dass deutsche Industrieunternehmen aufgrund hoher Kosten und unsicherer Rahmenbedingungen zunehmend Auslandsstandorte priorisieren. Besonders besorgniserregend ist, dass Unternehmen, die aus Kostengründen im Ausland investieren, ihre inländischen Investitions- und Beschäftigungspläne drastisch reduzieren. „Wenn Unternehmen ihre Zukunft immer häufiger außerhalb Deutschlands sehen, dann steht mehr auf dem Spiel als nur einzelne Investitionen“, warnt Treier. „Es geht um den Wohlstand und die wirtschaftliche Stabilität unseres Landes. Die Politik muss jetzt entschlossen handeln – mit niedrigeren Energiepreisen, steuerlichen und bürokratischen Entlastungen sowie besseren Bedingungen für Fachkräfte!“